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„Handygate“

CC-BY-NC-SA Matthieu Aubry

Seit bald einem halben Jahr reden wir uns den Mund fusselig, daß Realität ist, was die Aluhüte unter den Nerds schon immer gewusst zu haben meinen: wir alle werden flächendeckend und verdachtslos überwacht. Von den Amis, von den Briten, aber auch von unseren „eigenen“ Leuten beim BND. „Strategische Fernmeldekontrolle“ nennt sich das bei uns übrigens, wenn man sich einfach in Frankfurt an den DE-CIX hängt und da mitschnorchelt.

Die Opposition hat ein bisschen Empörung gespielt, zumindest im Bund, wo sie Opposition ist. Im Landtag NRW war die Reaktion analog zu schwarz-geld im Bund: das ist ja alles nur ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver und überhaupt, man sei ja gar nicht zuständig dafür, daß wir jetzt alle in einem Überwachungsstaat leben dürfen.

Kaum ist die Wahl vorbei und der ganz große Koalition ist es gelungen, die Piraten auf Bundesebene weiter keine Rolle spielen zu lassen, fällt irgendeinem schlauen Menschen im Bundeskanzleramt auf: „Moment! Alle heißt doch auch die Kanzlerin!“ Flugs wird das Thema gezielt skandalisiert. Man hat ja gerade vom Inhalt der Koalitionsverhandlungen abzulenken. Stichworte „neue Vizepräsidenten“ und „mehr Ministerposten“ z.B.

Also trötet man auf allen Rohren „die böse NSA hört das Kanzler-Handy ab“. Verdammte Scheiße, das ist nicht das beschissene Problem! Es geht nicht um die Kanzlerin, es geht nicht um irgendwelche Politiker, es geht nicht um die EU oder die UN. Bei den letzten drei Personengruppen war unsere Regierung übrigens noch ganz still. Nein, es geht darum, daß jeder Mensch, der auf irgendeine Art und Weise elektronisch kommuniziert, dabei vollständig überwacht wird.

Es geht auch nicht (nur) um Handys. Es geht um alles, was irgendwo durch ein Kabel geht:

  • Festnetztelefonie / Fax
  • Mobiltelefonie
  • Internet

Mit den ersten beiden Dingen wird sich vermutlich jeder identifizieren können, beim dritten helfe ich gerne nochmal auf die Sprünge. Über das Netz gehen (Liste bei weitem nicht vollständig)

  • Bank- und Überweisungsdaten
  • Patientenakten (übrigens leider meistens unverschlüsselt)
  • Behördenkommunikation (ach, Du hast gerade Hartz Ⅳ beantragt?)
  • Handel (Onlineshopping, Bestellungen, aber auch Metadaten zur Logistik)
  • und natürlich Privatsachen

Diese Daten musst Du nicht mal selbst verschicken, um betroffen zu sein. Es gibt ja genug Dritte, die Daten über Dich haben, verwenden und kommunizieren. Alle diese Daten werden dann mindestens mit dem Rüssel auf die Festplatten unserer „befreundeten“ Geheimdienste gezogen, weitere Verwendung: unbekannt. Je nachdem, welche Technik gerade im Einsatz ist, kann man aber auch direkt noch den Datenstrom manipulieren. Die Erfahrung lehrt uns, daß einmal gesammelte Daten auch verwendet werden. Und zwar nicht nur für Zwecke, die ursprünglich mal geplant waren.

All das hat niemanden interessiert. Leider auch nicht zur Bundestagswahl. Dementsprechend sich-bestätigt-fühlend benehmen sich unsere Spitzenpolitiker jetzt. Wisst schon, eine Kanzlerin ist natürlich definitiv mehr wert als 82 Millionen Bundesbürger, für die sie sonst verantwortlich sind. Die Überschrift „vom Wert eines Menschen“ habe ich mir jetzt aber mal verkniffen.

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