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203: Non-Authoritative Information

Generalanwalt: Vorratsdatenspeicherung mit EU-Recht vereinbar

CC-BY-NC-SA Tobias Wolter

Netzpolitik titelt heute irreführend mit EU: Vorratsdatenspeicherung inkompatibel mit Grundrechten. Warum irreführend? Weil der EU-Generalanwalt in seiner Stellungnahme {englisch) die Richtlinie für unvereinbar mit der EU-Grundrechtecharta hält, nicht aber die Generalüberwachung der Bevölkerung an sich.

In der Regel hält sich der Gerichtshof in seinem Urteil an die Gutachten des Generalanwalts. Wir können also davon ausgehen, daß die endgültige Entscheidung ähnlich ausfallen wird. Sehen wir uns die Stellungnahme mal genauer an.

Der Generalanwalt sieht auf der einen Seite schon eine schwerwiegende Einschränkung des Grundrechts auf Privatsphäre (“a serious interference with the fundamental right of citizens to privacy”). Auf der anderen Seite ist seiner Meinung nach die Vorratsdatenspeicherung aber eine angemessene, ja sogar notwendige Hilfe zur Verhinderung schwerer Straftaten (“may be regarded as appropriate and even […] as necessary for achieving that objective”).

Konkret bemängelt er an der Richtlinie folgende Dinge:

  1. Die Straftaten, bei denen ein Zugriff auf die Vorratsdaten erfolgen darf, sind nicht ausreichend geregelt. Die Rede ist von schweren Straftaten (“serious crimes”), das ist ihm zu ungenau.
  2. Die maximal erlaubte Speicherdauer ist mit zwei Jahren zu großzügig bemessen und damit unverhältnismäßig. Solange die Speicherfrist ein Jahr nicht übersteigt, hat er damit wiederum kein Problem. Geht ja um schlimme Dinge™.

Bevor wir jetzt also in Jubel ausbrechen und das Ende der Vorratsdatenspeicherung feiern, sollten wir mal kurz einen Abgleich dieser Mängelliste mit den Plänen unserer geliebten großen Koalition machen.

  1. Nach den Vorgaben unseres lokalen Bundesverfassungsgerichtes darf Zugriff auf die Vorratsdaten nur zur Verfolgung „erheblicher“ oder „mittels Telekommunikation begangener Straftaten“ erfolgen. Erstere sind näher definiert in §100a StPO. Wie man letztere versuchen möchte, unter “serious crimes” zu fassen, weiß ich auch nicht.
  2. Die Pläne sehen eine (Achtung, Neusprech) „Mindestspeicherfrist“ von 6 Monaten vor. Das ist weniger als ein Jahr.

Wenn das Gericht sich der Stellungnahme anschließt, dann können wir also leider nicht davon ausgehen, daß die deutsche Vorratsdatenspeicherung über Europa wieder gekippt werden kann. Bleibt noch die Überarbeitung der EU-Richtlinie, die wir wohl in ein paar Jahren erwarten können, und die Straftaten, in denen die Vorratsdaten zur Anwendung kommen dürfen, näher regeln werden muss. Dann können wir immerhin versuchen, die Verwendung für „mittels Telekommunikation begangenen Straftaten“ wieder aus dem Anwendungsbereich rauszuklagen. Wie das mit Prozessen so ist, wird das dann aber wohl auch nochmal einige Jahre brauchen.

Persönlich ruht meine letzte Hoffnung ja darauf, daß das Gericht sich an die eigenen Fragen in der Anhörung zur Sache erinnern wird. Denn auch auf explizite Nachfrage konnte nicht belegt werden, daß Vorratsdatenspeicherung wirklich notwendig zur Aufklärung schwerer Straftaten ist. Oder auch nur, daß sie die Aufklärungsquoten in den Ländern und den Zeiträumen, in denen es sie bereits gegeben hat, signifikant beeinflußt hat. Ich hoffe, daß das Gericht in dem Punkt eine andere Meinung vertritt als der Generalanwalt und auf dieser Grundlage einer Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich die Verhältnismäßigkeit absprechen wird.

Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

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